[aus: Jean-Paul Benoit,1956 „Das Leben Johann Friedrich Oberlins“]
„Mehr denn je bedarf heute die Welt der Hüter und Hirten. An Ingenieuren, Politikern und Technikern wird es nie mangeln. Wenn uns aber keine geistigen und geistlichen Führer mehr erstehen, dann wird die Erde nicht an der Atombombe zugrunde gehen, sondern an unserer blinden, der Vermassung verfallenen Zivilisation, die sich auf kalter Vernunft aufbaut.“
Haben die Christen heute noch die Kraft, sich im Namen des Gottes der Bibel zu Pionieren aufzuwerfen, um die irdische Stadt aufzubauen, wo, aller Sünde zum Trotz, die Liebe herrscht?
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Friedrich Oberlin - ein „Original der Nächstenliebe", wie man ihn genannt hat, steht im Mittelpunkt dieses Buches. Ein kleiner Pfarrer in einer abgelegenen Gegend des Elsaß vor fast zweihundert Jahren - und doch ein Mensch, der mit seinem Wirken Einfluß ausübte bis in die ganze Welt, der noch heute dem Christen Anlaß gibt, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Wer war er, was bestimmte sein Handeln, und was macht die Bedeutung seiner Persönlichkeit aus? Das Steintal, ein Hochtal in den Vogesen, das durch Oberlins Wirken in der ganzen Welt bekannt geworden ist, war seine Lebensaufgabe und sein Werk.
Die Bevölkerung in dieser abgelegenen, vergessenen Gegend war damals durch Hunger geschwächt, durch erschreckende Unbildung und Rückständigkeit dem fortdauernden Elend preisgegeben. Oberlin war es, der alle Überzeugungskraft, allen Mut und alle Tatkraft, ja seine ganze Persönlichkeit einsetzte, um diesen Menschen zu helfen. Er richtete Schulen ein, baute Wege und verbesserte Ackerbau und Handel - zuerst allein, dann bald unterstützt von Freunden und Schülern. Wie groß die Demut, Bedürfnislosigkeit und die bedingungslose Hingabe an die Aufgabe waren, die Oberlin und seine Helfer auszeichneten, kann man sich heute nur mit Mühe vorstellen.
Jean-Paul Benoit, ein französischer Protestant, schildert das Leben eines bedeutenden Mannes. Seine Biographie Oberlins zeigt jedoch auch weiterreichende Zusammenhänge, Einflüsse, die von Oberlins Wirken in die Welt hinausgingen und andere Menschen zur Nachahmung aufriefen. Es wird deutlich, daß dieser Mann, der seine Gemeinde aus drückendem Elend zu einem menschenwürdigen Dasein emporführte, vor allem ein Zeuge des Glaubens war. Seine Haltung kann auch uns zum Nachdenken rufen.
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Oberlin ist nicht nur für seine Zeit ein Wegbahner gewesen. Ohne je seinen Pietismus zu verleugnen, sondern im Gegenteil tief verwurzelt in der Gemeinschaft mit dem lebendigen Christus, konnte er wohl niemals körperliches Elend, noch Ungerechtigkeit des Schicksals, noch menschliche Grausamkeit mit ansehen.
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„Das Steintal“
Nach dem Aussterben des einheimischen Adels übergab der König von Frankreich, durch den Westfälischen Frieden Herr über das ganze Elsaß geworden, die Herrschaft französischen Fürsten katholischen Glaubens, die keinen größeren Wunsch kannten, als diese Dörfer wieder für Rom zu gewinnen. Als sie keinen Erfolg ihrer Bemühungen sahen, verspürten sie auch keinerlei Neigung mehr, ihren Einwohnern irgendwelche Hilfe zu gewähren.
Das Elsaß hatte im eigentlichen Wortsinne keine Religionskriege erlebt und dank dem Westfälischen Frieden der lutherische Kultus seine volle Freiheit. Verfolgungen und Quälereien blieben ihm erspart, es gab keine Märtyrerpfarrer und keine Galeerensträftlinge um des Glaubens willen. Aber nur die Lutheraner genossen die Vorteile dieses gesetzlichen Schutzes.
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Ja, das Steintal genießt keinen guten Ruf, das Leben ist hart, das Klima rauh und die Menschen sind bitterarm. Als reich gilt schon, wer ein wenig mehr als das Lebensnotwendigste besitzt. Man bewohnt strohgedeckte niedere Hütten dicht neben dem Stall, und öfters schlafen Mensch und Tier unter einem Dach.
Man geht barbuß oder in Holzschuhen, man nährt sich hauptsächlich von Kohl, Kartoffeln und Roggenbrot. Oft reicht es nicht für das ganze Jahr, und mancher muß sich im Frühjahr mit in Milch gekochten Kräutern begnügen. Aber ein Geist der Hilfsbereitschaft ist unter den Bewohnern lebendig. So schreibt ein Zeitgenosse über sie, daß man dort nie einen bettelnden Einwohner angetroffen habe.
So lebt man: kein Weizen, kein Wein, an den großen Feiertagen vielleicht ein wenig Fleisch. Mancher hat sein Leben lang weder Rind- noch Hammelfleisch gegessen.
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Geld ist ebenso unbekannt wie der Weizen. Doch ist das verwunderlich? In vielen französischen Provinzen sieht es in dieser Zeit genau so aus, in denen Rebellion und Hungersnot herrschen, lange schon vor der Revolution von 1789. Die Bauern sind es, diese Armseligen und Verachteten, die die königlichen Truppen darüber belehren, wie viel Adel und Kühnheit auch unter Lumpen zu finden sind.
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Johann Friedrich Oberlin (oft auch französisch Jean-Frédéric Oberlin) (* 31. August 1740 in Straßburg; † 1. Juni 1826 in Waldersbach) war ein evangelischer Pfarrer, Pädagoge und Sozialreformer aus dem Elsass; in der Frühpädagogik gilt er als Vordenker von Friedrich Fröbel[1] und als einer der Väter des Kindergartens.
Oberlins Erziehungsgrundsatz war: „Erzieht eure Kinder ohne zuviel Strenge … mit andauernder zarter Güte, jedoch ohne Spott.“ Er führte manuelle Tätigkeiten wie Stricken, Malen, Blätterpressen und -einkleben in der Schule ein, um die Konzentrationsfähigkeit und Fertigkeiten der Kinder zu erhöhen. Die dialektsprechenden Kinder erlernten die noch unbekannte französische Sprache und Schrift mittels Bilder, Gesang und Wiederholungen. Heimat-, Gesteins- und Pflanzenkunde wurden vermittelt. Er verfasste pädagogische Schriften und legte Sammlungen zu naturkundlichen Themen an. Spiele, Karten und Holzbuchstaben wurden als didaktische Elemente erkannt und eingeführt, Ausflüge zur körperlichen Betätigung eingesetzt. Um auch die Erwachsenen zu fördern, gründete er eine Leihbibliothek und landwirtschaftliche Vereine. Durch seine Ausbildungsstipendien und sein sozialpädagogisches Wirken eröffnete Oberlin auch Frauen einen Weg in die anerkannte Berufswelt.
Bei Oberlins Ankunft im Steintal lebten in den fünf Dörfern seiner Gemeinde knapp 100 Familien in ärmlichsten Zuständen; zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Bevölkerung bereits auf etwa 3000 Personen angewachsen. Die härteste Belastungsprobe bestand sein Sozialwerk in den Hungerjahren 1816 und 1817.
https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Friedrich_Oberlin
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